Kann ein Laktattest wirklich valide die anaerobe Schwelle bestimmen und welche Ableitungen fürs Training ermöglicht er?
Die Bestimmung körperlicher Leistungsfähigkeit und optimaler Trainingsbereiche ist sowohl für den Profi- als auch den Freizeitportler von großem Interesse. Eines der dafür immer noch am häufigsten verwendeten Verfahren ist der sogenannte Laktatstufentest (häufig auch einfach nur als Laktattest bezeichnet). Wir wollen mit diesem Artikel darstellen, wieso es einige kritische Aspekte am Laktattest gibt und wieso bereits seit über 40 Jahren Uneinigkeit über die genaue Ausführung und Auswertung des Tests herrscht.
Testverfahren des Laktattests
Das Grundprinzip des Laktattests ist schnell erklärt: Bei einer stufenförmig ansteigenden Belastung wird am Ende einer jeden Stufe Laktat als Produkt des anaeroben Stoffwechsels gemessen. Die einzelnen Laktatwerte werden in ein Diagramm übertragen und mit einer mehr oder weniger passenden Linie zu einer Laktatleistungskurve verbunden (interpoliert). Diese Laktattest Kurve wird dann verwendet um die sogenannte anaerobe Schwelle zu bestimmen und Trainingsbereiche festzulegen.
Doch wie genau „findet“ der Laktattest diese anaerobe Schwelle? Was bedeutet sie eigentlich genau für Training und Wettkampf? Und gibt es heutzutage nicht schon methodisch bessere, alternative Testformen? Wir klären auf…
Wie liest man die Laktatschwelle aus dem Laktattest ab?
Die Identifizierung der Laktatschwelle aus dem Laktattest ist alles andere als trivial. Jedem ist klar; es gibt eine Phase wo das Laktat niedrig bleibt, eine Phase des „leichten Anstiegs“ und eine Phase mit „starkem Anstieg“. Was hierbei allerdings als leicht und stark definiert wird, ist natürlich „relativ“ (und vor allem individuell). Bis heute existiert kein einheitlich anerkannter Standard, wie der Laktattest durchzuführen und auszuwerten ist. Insbesondere in den 70er bis hin zu den 90er Jahren wurde sehr viel mit dem Laktattest experimentiert. Dabei wurden verschiedenste methodische Konzepte entwickelt, welche alle den Anspruch erheben genauer und besser als die anderen zu sein (1).
Heutzutage existieren mehr als 20 verschiedene Laktatschwellenkonzepte (2). Als die bemerkenswertesten und wahrscheinlich wegweisendsten sind wohl herauszustellen:
- (A) Fixe Laktatkonzentration bei 4.0mmol/l nach Mader (1976)
- (B) Laktatkonzentration 1.5mmol/l oberhalb des Basalwerts (Dickhuth, 1991)
- (C) iANS anhand der Nachbelastungsphase (Stegmann, Kindermann, 1981)
- (D) Dmax als Produkt zweier distanzierter Tangenten (siehe Abbildung, Cheng, 1992)
Mit welcher Methode man auch immer arbeitet, eines ist klar… das Ergebnis ist immer ein anderes. Zwischen den unterschiedlichen Methoden liegen Abweichungen von mehr als 1 km/h (beim Lauf) oder 20W (beim Rad) (3) (4). Das sind gut und gerne bis zu 20% (je nach absoluter Leistung an der Laktatschwelle). Die anaerobe Schwelle ermittelt aus dem Laktattest bleibt eine „Schätzung“ eines physiologischen Konstrukts.
Nächstes Problem: Messbedingte Abweichungen
Beim Laktattest wird in der Regel je Belastungsstufe genau ein einzelner Messwert erhoben. Die Messabweichung von High-End Laktatanalysegeräten beträgt laut Hersteller ca. 1,5%. In der praktischen Anwendung (Blutverteilung, mangelhafte Messdurchführung, Verunreinigung der Probe mit Schweiß) sind allerdings Messabweichung von gut und gerne 3-5% möglich. Das bedeutet, dass ein „realer“ Laktatwert von 4,0 in der Messung auch zwischen 3,8 und 4,2 ausfallen kann. Dies hätte definitiv Folgen bei der Berechnung der Laktatkurve und folglich auch der Laktatschwelle. Im hier dargestellten Beispiel seht ihr die Messwerte eines Test mit jeweiliger Doppelmessung (zwei Messproben unmittelbar hintereinander gemessen).
Messzeitpunkt | Laktatwert(e) |
Ruhe | 1,6 |
200W – 5min | 1,3 – 1,5 |
200W – 10min | 1,3 – 1,3 |
250W – 5min | 1,6 – 1,8 |
250W – 10min | 1,6 – 1,5 |
300W – 5min | 3,0 – 3,1 |
300W – 10min | 3,5 – 4,3 |
300W – 15min | 5,1 – 5,3 |
Tag-zu-Tag Variationen im Laktattest
Ein weiteres bekanntes „Problem“ ist die Tag-zu-Tag Varianz von Laktatwerten. Das im Blut gemessene Laktat ist immer ein Produkt der Glykolyse, dem Abbau von Kohlenhydraten (5). In Abhängigkeit von der Tagesform, Hormonleveln, Vorbelastung, Ernährung, etc. verhalten sich Laktatwerte sehr unterschiedlich. Ein Beispiel: Wenn man am Tag vor der Testung ein längeres Training absolviert oder weniger Kohlenhydrate gegessen hat, beeinflusst das den Kohlenhydratspeicher in der Muskulatur. Eine verringerte Kohlenhydratverfügbarkeit führt meist unweigerlich zu niedrigeren Laktatkonzentrationen im Laktattest. So kommt es nicht selten zu Abweichungen in gemessenen Werten wie in dem unten stehenden Beispiel (Dauertest im Abstand von 3 Tagen wiederholt).
WERT | TEST 1 | TEST 2 |
Ruhe | 2,1 | |
200W – 5min | 1,4 | 1,7 |
200W – 10min | 1,3 | 1,7 |
250W – 5min | 1,7 | 2,0 |
250W – 10min | 1,6 | 2,0 |
300W – 5min | 3,1 | 3,3 |
300W – 10min | 3,9 | 4,5 |
300W – 15min | 5,2 | 6,1 |
Relevanz des Laktattests
Nun mag der ein oder andere sagen: Ich mache aber seit x Jahren immer den gleichen Test (mit der gleichen Methode) und bin immer vor dem Test gleich eingestellt. Nun, selbst wenn man davon ausgeht, dass man perfekte Laktatwerte erhoben hat und eine lupenreine Laktatkurve ausgewertet bekommt. Es bleibt die Frage, was man eigentlich mit diesem erhobenen Wert anstellen will?!
Wer mit dem Laktattest seine längerfristige Dauerleistung bestimmen will, der macht viel einfacher einen FTP Test.
Wem es darum geht mit einem Laktattest herauszufinden, WAS man kann, der kann auch einfach mit einem Powermeter funktionale Tests auf der Straße fahren. In regelmäßigen Abständen durchgeführte maximale Tests über verschiedene Zeiten von z.B. 1 min, 5 min, 20 min und 60 min zeigen ziemlich klar auf, was man kann und was nicht. Das sogenannte PowerProfil der Software TrainingPeaks und auch der sog. 4DP Test der Trainingsplattform Sufferfest machen genau das und kosten nur einen Bruchteil eines Laktattests.
Wer mit dem Laktattest seine Trainingsbereiche festlegen möchte, dem sei gesagt, dass das deutlich genauer geht.
Ähnlich wie der FTP Test so „errechnet“ der Laktattest am Ende die Trainingsbereiche ausgehend von dem einen ermittelten Wert. Dies ist eine empirische Schätzung nach dem Motto: „Von 100 getesteten Personen lag der Grundlagenbereich im Mittel bei 60% der Anaeroben Schwelle“. Diese „Trainingszonen“ beruhen auf keinerlei physiologischem Fundus und es werden hierbei keinerlei individuelle Gegebenheiten berücksichtigt. Der individuelle Trainingsbereich maximaler Fettstoffwechselaktivität z.B. lässt sich mit einem Laktattest überhaupt nicht aufdecken. Dies wird mit einer komplexeren Leistungsdiagnostik erreicht.
Wer den Laktattest macht um mehr über sein Laktatverhalten in Erfahrung zu bringen, der sollte sich näher mit der aeroben und anaeroben Kapazität auseinandersetzen.
Dauerleistungen können auf sehr unterschiedliche Arten realisiert werden, wie auch schon unsere FTP Studie zeigen konnte. Die im Blut gemessene Laktatkonzentration ist immer Resultat von Laktatauf- und abbau im gesamten Organismus. Laktat wird durch die Glykolyse als Tei des anaeroben Stoffwechsels produziert. Laktat kann aber auch durch das aerobe System eliminiert werden (6). Dies zu verstehen und vor allem genauer in Erfahrung zu bringen, eröffnet völlig neue Perspektiven.
Die wenigsten Belastungen im Sportlichen Geschehen finden durchweg gleichförmig statt. Viel mehr unterliegen viele Ausdauerbelastungen einer gewissen Dynamik… höher belastende Phasen, schnelle Attacken und Tempoverschärfungen wechseln sich mit niedriger belastenden Phasen und Erholungssituationen ab. Die Schnelligkeit des jeweiligen Laktatanstiegs und des sofort darauffolgenden Laktatabbaus bestimmen die Kurzzeitleistung, die Erholungsfähigkeit und damit letztendlich auch die Dauerleistung.
Um dieses „Laktathandling“ am Ende in seiner Komplexität zu verstehen, braucht es aufwendigere Verfahren. Die aerobe Kapazität (VO2max) und die anaerobe Kapazität (maximale Laktatbildungsrate) z.B. isoliert zu untersuchen ist ein möglicher Ansatz (siehe unten stehende Abbildung). Zusätzlich spielen aber die individuell ausgeprägte Laktattransportfähigkeit, die Laktattoleranz und weitere Faktoren eine Rolle. All das sind Punkte, die beim simplen Laktattest verschwimmen und dadurch keine fundierte Trainingsableitung möglich machen.
Leistungsfähigkeit ist mehr als ein Laktattest aufdecken kann
Wie in den letzten Abschnitten beschrieben ist ein Laktattest und die Bestimmung der anaeroben Schwelle nicht alles. Es geht viel mehr darum zu verstehen, WIE die Laktatwerte bei gegebener Leistung zu Stande kommen (mehr dazu in unserem Artikel über die Zusammensetzung der Leistung) und wie der Organismus damit umgeht. Hier noch ein Beispiel was sehr schön darstellt, wie unterschiedlich Sportler funktionieren können, obwohl sie in einem Laktattest sehr ähnlich abschneiden.
Beide Sportler haben eine Anaerobe Schwelle von um die 300W (bei annähernd gleichem Körpergewicht von 77,2 und 77,8 kg). Beide fuhren einen Rampentest (zur Bestimmung der VO2max) bis ca. 450W und hatten am Ende dieses Tests einen annähernd gleichen Laktatwert von 11,5 und 11,8 mmol/l. Zwei Minuten nach dem Rampentest starteten beide Sportler in einen Stufentest bei 100W und wir beobachteten, wie sich die Laktatwerte verhalten. Sportler 1 (obere Kurve) baut zunächst weiter Laktat auf und kommt nie unter 8 mmol/l. Sportler 2 hingegen schafft es sofort das gebildete Laktat wieder abzubauen und ist nach wenigen Minuten bei 5 mmol/l. Diese beiden Sportler weisen also große Unterschiede im Laktathandling auf. Einmal über den roten Bereich hinausgegangen, wird es Sportler 1 schwer fallen sich wieder zu erholen, während Sportler 2 relativ schnell wieder angreifen kann.
Literaturangaben
(1) Röcker, K. (2008). Streit um des Kaisers Bart – Welche Laktatschwelle ist die Beste. Deutsche Zeitschrift Für Sportmedizin, 59(12), 303–304.
(2) Faude, O., Kindermann, W., & Meyer, T. (2009). Lactate threshold concepts: how valid are they? Sports Medicine, 39(6), 469–490.
(3) Dörr, C. (2010, November 4). Untersuchung der Validität verschiedener Laktatschwellenkonzepte an Ausdauersportlern. Dissertation.
(4) Hauser, T., Adam, J., & Schulz, H. (2014). Comparison of selected lactate threshold parameters with maximal lactate steady state in cycling. International Journal of Sports Medicine, 35(6), 517–521.
(5) Rogatzki, M. J., Ferguson, B. S., Goodwin, M. L., & Gladden, L. B. (2015). Lactate is always the end product of glycolysis. Frontiers in Neuroscience, 9(408), 22.
(6) Wahl, P., Bloch, W., & Mester, J. (2009). Moderne Betrachtungsweisen des Laktats: Laktat ein überschätztes und zugleich unterschätztes Molekül. Schweizerische Zeitschrift Für «Sportmedizin Und Sporttraumatologie, 57(3), 100–107.