Erfahrungsbericht eines 400km Brevets namens Maurice Brocco
Einmal einen Marathon unter 4 Stunden laufen? Eine Iron-Man Distanz erfolgreich bewältigen? Oder ein Langdistanz oder Brevet auf dem Rad durchstehen? Alle Disziplinen bedingen eine entscheidende Kernfähigkeit: bis zum Ende genügend Energie über Kohlenhydrate bereitstellen zu können. Wie man sich dafür richtig einstellt zeigt dieser Erfahrungsbericht von Johannes und Raphael, die mit Hilfe unserer Diagnostik erfolgreich ein 400 km Brevet absolvieren konnten.
Ideal vorbereitet ist anders
An einem Wochenende saß ich mit Johannes zusammen und er erzählte vom 400 km Brevet Maurice Brocco. Ich hatte davon gehört, aber nie wirklich in Betracht gezogen dort teilzunehmen, hatte ich doch sehr wenig Erfahrung und Training auf längeren Distanzen. In 2 Wochen sollte der Start sein und Johannes suchte noch nach einem Mitstreiter. Zu zweit ließe sich eine solche Mammutaufgabe natürlich deutlich besser bewältigen. Als Johannes eine Woche später immer noch alleine auf der Anmeldeliste stand und mich nochmals persönlich bat, das mit ihm zu machen, sagte ich spontan zu. Oh man, auf was hatte ich mich da nur eingelassen. 120 km war das längste was ich dieses Jahr gefahren war, gut vorbereitet war anders.
Der Plan
Uns war von vornherein klar, dass wir das Rennen primär durchstehen wollten. Wenn wir am Ende merken sollten, dass wir noch Energie übrig hatten, könnten wir immer noch ein wenig mehr Gas geben. Wir wussten, dass wir uns dazu richtig „einteilen“ müssen, aber wie? Welche Geschwindigkeit ist angemessen? Woran können wir während des Rennens festmachen ob wir so durchkommen können oder nicht? Die Antworten brachten eine umfassende Aufklärung und unsere Analyse bei Diagnose Berlin.
Das Geheimnis liegt in den Kohlenhydraten
Sobald wir uns sportlich betätigen verbraucht unser Körper mehr Energie. Und wenn man wie wir vor hat 16 Stunden (das war unsere Zielzeit) Sport zu treiben ist das eine ganze Menge Energie. Die benötigte Energie produziert unser Organismus über die Verstoffwechslung von Kohlenhydraten und Fetten. Jetzt der Knackpunkt… während der Speicher an Fettsäuren bei jedem Menschen als nahezu unbegrenzt betrachtet werden kann, ist der Speicher an Kohlenhydraten dagegen sehr limitiert.
Ein Mensch verfügt je nach Trainingszustand und Gesamtkörpergewicht nur über ca. 300 – 700 Gramm Kohlenhydrate wenn alle Speicher maximal gefüllt sind (Abbildung 1 aus [1]). Das Problem gegen Ende längerer sportlicher Belastungen ist häufig eine nahezu vollkommene Entleerung der Kohlenhydratspeicher. Der Körper hat in dieser Situation keine (oder nur noch sehr wenig) schnell umsetzbare Energie zur Verfügung und kann die Anstrengung nicht mehr aufrecht erhalten [2]. Dieser Zustand erklärt auch den allseits bekannten „Mann mit dem Hammer“, den viele unerfahrene Läufer gegen Ende eines Marathons kennenlernen. Doch wie konnten wir diese Situation vermeiden?
Die Diagnostik
Unsere Diagnostik widmete sich spezifisch einer Fragestellung: Wie sieht unser Energieverbrauch und vor allem der Verbrauch von Kohlenhydraten bei verschiedenen Belastungsintensitäten aus?
Unser Energieverbrauch und vor allem der anteilige Verbrauch von Kohlenhydraten veränderten sich je nach Belastungsintensität. Abbildung 2 zeigt wie immer mehr Kohlenhydrate (blaue Kurve) verstoffwechselt werden mussten, je höher die Belastungsintensität ausfiel. Während wir in den niedrigen Intensitäten gerade mal 41 g Kohlenhydrate (CHO) pro Stunde verbrauchten, so stieg der Verbrauch in den hohen Intensitäten auf bis zu 243 g/h an (siehe Abbildung 3). Und was war nun die für uns geeignete Intensität für das Rennen?
Die resultierende Strategie
Es war klar, dass wir während des Rennens auch essen und damit Kohlenhydrate zuführen konnten, allerdings nicht unbegrenzt. Seit Jahren gibt es in der Sportwissenschaft Studien zum Thema Kohlenhydratzufuhr während sportlicher Belastung und man ist sich mittlerweile einig, dass ca. 80 g/h für die meisten Menschen funktioniert. Maximale Resorptionsgrenzen des Magens liegen bei ca. 100 g/h, dies ist allerdings für viele schon schwer zu erreichen und nur über gutes Timing und Zusammensetzung der Kohlenhydrataufnahme erreichbar [3] (zur Relation, ein Energieriegel enthält meist um die 30 – 40 g Kohlenhydrate pro Portion).
Nun wurde es ein wenig rechnerisch. Wir gingen für uns von einem mittleren Wert des Kohlenhydratspeichers aus: 500 g! Wenn wir es schaffen würden 100 g/h aufzunehmen, dann könnten wir eine Intensität von ca. 180 – 200 Watt anpeilen. Hierbei würden wir jede Stunde ein kleines Defizit von ca. 10 – 30 g Kohlenhydrate eingehen und hochgerechnet also maximal 16 x 30 g = 480 g Kohlenhydrate einbüßen. Knappes Ding und viele Annahmen aber theoretisch möglich.
Die Vorbereitung
100 g Kohlenhydrate jede Stunde zu essen und vor allem vorzubereiten ist gar nicht so einfach. Man kann natürlich temporär mehr essen, aber das würde dann nur im Magen liegen und ein unangenehmes Völlegefühl erzeugen. Wir bereiteten uns daher selbst Energieriegel zu, die wir perfekt portionieren konnten. 25 g Kohlenhydrate pro Einheit und das Ganze 32 mal… pro Person!!! Zusätzlich dazu mischten wir uns 50g Portionen Maltodextrin (eine langkettige geschmacklose Kohlenhydratverbindung [4]) an, die wir jede Stunde mit 750ml Wasser zu uns nehmen wollten. Das bedeutete, wir mussten auch noch 800g von dem Pulver pro Person verstauen. Eine Menge Futter die wir da mit uns rumtragen würden, aber voll bepackt (mit Rahmentaschen) ging es an den Start!
Der Tag der Wahrheit
Um 12:00 Uhr mittags fiel der Startschuss in Leipzig. Wir waren definitiv sehr nervös und angespannt, nicht wissend ob wir denn in 16 Stunden hier wieder ins Ziel einrollen würden.
Der Start war auch gleich sehr suboptimal. Nach 15 neutralisierten Kilometern in der Gruppe gabs das Kommando: „Go, Go, Go!“ und tatsächlich schossen die Leute sofort wie verrückt los. Da wir gleich zu Beginn eine andere (kürzere) Route als die meisten anderen wählten, verloren wir erst mal den Anschluss. Es herrschte extremer Gegenwind und wir versuchten die Gruppen wieder einzuholen… das Ganze natürlich schon viel zu intensiv.
Als wir dann auf eine Gruppe trafen fuhren schaute ich zum ersten Mal auf den Tacho. 250 Watt Durchschnitt bis hierhin. Na super… unser Plan drohte schon jetzt zu scheitern. Mit der Gruppe war es nicht besser, immer noch 230-250 Watt. Wir mussten die Entscheidung treffen, die Gruppe gehen zu lassen. Auch wenn der Windschatten einer solchen Gruppe natürlich sehr verlockend war, so war uns doch klar, dass wir so nicht ins Ziel kommen würden.
Nach dem holprigen Start besonnen wir uns also wieder und hielten am Plan fest. 200 W und jede Stunde 2 Riegel und eine Flasche Mixgetränk. Wir hielten wirklich nur um unsere Flaschen aufzufüllen. An allen Verpflegungsstellen konnten wir sofort weiterfahren und machten dadurch Plätze gut. Am ersten Checkpoint nach 100 km kamen wir als 30. und 31. an. Beim zweiten Checkpoint nach 200 km waren wir schon auf den Plätzen 15 und 16. Jetzt liefs!
Dennoch, anstrengende Startphase machte sich bemerkbar und wir waren gezwungen die Intensität langsam immer mehr zu drosseln. Es ging in die Nacht und Durchhaltevermögen war gefragt. Checkpoint 3 nach 290 km und wir waren sichtlich müde. Als wir aber auf die Liste schauten kam der nächste Motivationsschub; Platz 9 und 10! Weitermachen! Die letzten 100 km fühlten sich an wie im Delirium, das Essen fiel immer schwerer und die Konzentration nahm immer mehr ab. Trotzdem zogen wir es durch und als die letzten 40 km auf dem Tacho standen, konnten wir sogar nochmal etwas anziehen.
Um 04:32 Uhr erreichten wir das Ziel und es war ein unglaubliches Gefühl. Gegen Ende ging wirklich nichts mehr und es war sehr erfüllend erfahren zu haben was mit der richtigen Planung und Strategie alles aus dem Körper herauszuholen ist. Man sieht wie die Leistung von Abschnitt zu Abschnitt immer weiter sinkt. Der Durchschnitt der gesamten Belastung hatte sich aber am Ende tatsächlich bei 186 Watt eingependelt. Also alles richtig gemacht!!
Hier der Link zum Event: http://www.mauricebrocco400.net
der Link zur Strava Aktivität: https://www.strava.com/activities/1052900294
und zur Datenanalyse über TrainingPeaks: http://tpks.ws/sZECl